Die Gefahren der genetischen Erosion bei Zuchtstämmen der Honigbiene


Graz, März 1994
Extrakt von Der Buckfastimker,
??(4), 1997, 49-50.
von Paul Jungels,
Berufsimker
1a, Iewescht Gaass
LU-9361 – Brandenbourg,
G.D. von Luxemburg

 

Seit dem Ausscheiden Bruder Adams aus der praktischen Zuchtarbeit in Buckfast–Abtei hat sich in der Imkerschaft eine gewisse Unsicherheit bezüglich der Erhaltung und der Weiterentwicklung der Buckfastbiene breitgemacht.  Dies trotz verschiedener Veröffentlichungen sowie den Hinweisen die uns Bruder Adam selbst hinterläßt.

Wohl zurecht nimmt die Inzucht und der damit verbundene Zerfall — besonders der Vitalität und Leistungskraft den breitesten Raum der Befürchtungen ein.
Die Gemeinschaft der Buckfastimker, die als eines ihrer primären Ziele die Möglichkeit anbietet, über Inselbelegstellen sowie Lizenzzüchter der breiten Imkerschaft eine erbfeste, aber auch in jeder anderen Hinsicht einwandfreie Buckfastbiene sicherzustellen ist hier zu Recht gefordert.

Vom Vorstand dieser Gemeinschaft wurde ich gebeten meine Erfahrungen zu diesem Thema zugänglich zu machen.  Folglich werde ich versuchen gemäß dem heutigen Wissensstand und gemäß meiner eigenen praktischen Erfahrung auf diesem Gebiet der Züchtung die verschiedenen Aspekte der Inzucht zu beleuchten.

Einfluß der Züchtung auf die Volksgemeinschaft

Bei der Honigbiene befassen wir uns nicht mit Einzelwesen, sondern stets mit einer Volksgemeinschaft deren Gesamtheit wir erfassen und beurteilen.  Das Bienenvolk besteht aus vielen Einzelgliedern, speziell auch aus genetischer Sicht.  Bruder Adam wird nicht müde ständig auf diese Tatsache hinzuweisen.
Die Natur bemüht sich in jedmöglicher Hinsicht in diesen „Superorganismus“ eine größtmögliche Mannigfaltigkeit an Eigenschaftsreichtum einzubinden.

Mannigfaltigkeit von Eigenschaften erleichtert das Überleben der Art in schwierigen Zeiten.  Sie bedeutet nämlich Anpassungsfähigkeit.  Auch eine gewisse, durch die vorhin erwähnte Paarungsbiologie vorgegebene Variation bei der Nachkommenschaft paßt in dieses Schema.

Im gleichen Zusammenhang bezweifle ich die Richtigkeit der These der Arbeitseinteilung im Bienenvolk nach Altersstufen.  Zumindest aber deren alleinige Gültigkeit. Ich glaube vielmehr, daß äußerst komplexe Wechselwirkungen zwischen

Und zwar in gewisser Weise gemäß den jeweiligen Bedürfnissen des Volkes, der Gemeinschaft also.  Jeder Verlust von Erbanlagen durch einseitige Zuchtbestrebungen kann für die Volksgemeinschaft ebenfalls das Fehlen bestimmter Bienengruppen, welche für die entsprechenden Aufgaben verantwortlich — oder impulsgebend — sind, bedeuten.  Deshalb können sich auch ohne die klassischen Inzuchtanzeichen, den Brutlücken, Inzuchtdepressionen für Bienenvölker katastrophal auswirken.


Diese Überlegung zeigt, daß unser ganzes Bestreben um die Erhaltung unserer Zuchtstämme darin bestehen muß

Die verschiedenen Gesichter der Inzuchtdepression sowie deren Folgen

A.  Brutlücken

In fast sämtlicher Imkerliteratur werden im Zusammenhang mit Inzuchterscheinungen die Brutlücken infolge gleicher Sex Allele erwähnt. Bekanntlich erfolgt die Geschlechtsbestimmung bei unseren Bienen (gleich bei allen Hautflüglern) nicht, wie in der übrigen Tierwelt durch zwei bestimmte Chromosome, sondern bei der Honigbiene sind einzelne Gene (Allele) geschlechtsbestimmend.  Etwa zwanzig verschiedene sind wahrscheinlich.  Ebenfalls umgekehrt ergeben gleiche Gene männliche Tiere (notwendigerweise, wegen der Jungfernzeugung der Drohnen) ungleiche dagegen weibliche Tiere, also Königinnen resp. Arbeiterinnen.

Durch gleiche Sex Allele in befruchteten Eiern wachsen zunächst Drohnenlarven mit diploidem, also doppeltem Chromosomensatz die alsbald von den Arbeiterinnen als „unnatürlich“ erkannt und entfernt werden.  Bei extremster Inzucht kann ein Brutausfall dieser Art rein rechnerisch bis zu 50 % betragen.

B.  Gen– und Eigenschaftsverlust

Mit den für das Bienenvolk weitaus gefährlicheren Folgen eines Gen– und damit Eigenschaftsverlustes eines Zuchtstammes durch übertriebene Vereinheitlichungsbestrebungen setzt sich in der Literatur kaum jemand auseinander.  In meiner Einleitung habe ich versucht die Wichtigkeit der genetischen Vielfalt und deren essentielle Bedeutung für das „Funktionieren“ des Bienenvolkes hervorzuheben.

Reinzucht, speziell aber Inzucht wird von Züchtern betrieben um gewisse wünschenswerte Eigenschaften des Zuchtstammes zu intensivieren und genetisch zu festigen.  Je intensiver und zielstrebiger — in Bezug zu den in Frage stehenden Zuchtzielen — die Auslese und erneute Verpaarung erfolgt, desto schneller stellt sich Erfolg ein.  Reinzucht und in stärkerem Masse noch Inzucht uniformiert, sie schafft bei richtiger Auslese und entsprechend exakter Verpaarung Reinerbigkeit in den begehrten Eigenschaften.  Aber sie verringert logischerweise deren Vielfalt, mit den zuvor erwähnten_und bekannten Folgen.

Ich darf das arteigene Verhalten der Honigbiene in diesem Zusammenhang an 2 gegensätzlichen Beispielen aus meiner Praxis erklären:

Auf unserem Zuchtstand werden alljährlich 240 Königinnen, Reinzuchten sowie verschiedene Kreuzungen nach der Methode Bruder Adams überwintert.  Ab Juli stellt sich hier allmählich in Folge Trachtmangels ein extremer Räubereidruck ein.  Genauso progressiv reagieren die Völkchen mit verstärkter Fluglochwache.  2–3 Völkchen lassen sich alljährlich ohne jede Gegenwehr still und heimlich ausräubern.  Erfahrungsgemäß sind diese Einheiten rettungslos verloren, sie besitzen einfach nicht die Fähigkeit zum Aufbau einer wirksamen Fluglochwache.
Wohlgemerkt, ich fand dieses Verhalten sowohl bei übelsten Stechern wie auch bei sanftmütigsten Völkchen, allerdings immer und ohne Ausnahme in irgend einem Zusammenhang von Inzucht.
Hier sollte nicht unerwähnt bleiben, daß selbst starke Ertragsvölker, im Spätsommer frisch auf den Zuchtstand verbracht, zunächst vor einer Ausräuberung durch die Begattungsvölkchen nie sicher sind.  Erst allmählich muß sich auch hier, gemäß der extremen Gegebenheit eine wirksame Fluglochwache entwickeln. Vorbedingung ist allerdings in jedem Fall eine entsprechende genetische Disposition.

Ähnliches Verhalten gegenüber den Larven der kleinen Wachsmotte konnte ich ebenfalls wiederholt beobachten.

In einem speziellen Fall auch gegenüber der Kalkbrut! Genauer gesagt benötigten im Falle der Kalkbrut, wo innerhalb kürzester Zeit der ganze Zuchtstand infiziert war, die ausreichend resistenten Völkchen etwa 4 Tage zur Reaktion durch Ausräumen und Beseitigung der Mumien.  Innerhalb von 10 Tagen erfolgte eine vollkommene Selbstheilung bei 90 % der Begattungsvölkchen, der Rest blieb befallen bis zum Herbst: besaß folglich nicht die volle Fähigkeit zur Selbstheilung.

Eine aktive Abwehr gegenüber der Varroamilbe nach ähnlichem Muster sei hier einmal zur Diskussion gestellt!

Ein zweites Beispiel befaßt sich mit dem entgegengesetzten Fall, nämlich dem Neuerwerb einer zuvor fast weggezüchteten (weil unerwünschten) Eigenschaft durch Zuflug einzelner Bienen.

Im Sommer 1988 weiselte ich eine Serie von Anatolier F 1 Königinnen in verschiedene Ertragsvölker auf verschiedenen Ständen ein.  Diese Kreuzung sammelte Propolis in einem Ausmaß, daß das Kittharz bei heißer Witterung vorne aus dem Flugloch heraustropfte.  Gleichzeitig und urplötzlich zeigten die jeweiligen Buckfast–Nachbarvölker ebenfalls einen stärkeren Propolis–Sammeltrieb, dies, obwohl sie einer relativ „sauberen“ Linie angehörten.  Diese Erfahrung wurde später immer wieder bestätigt.  Die Erklärung liegt auf der Hand: durch Verflug einzelner Anatolier–Bienen vermochten diese in den Buckfastvölkern die Reaktion auszulösen.  Ein offensichtliches Zeichen von Kommunikation und Lernfähigkeit der „Lebensgemeinschaft Bienenvolk“.  Wir wissen heute zu wenig über dieses Thema.

C.  Inzuchtauswirkungen auf die einzelnen Glieder des Bienenvolkes

Durch enge Verwandschaftspaarungen lassen sich natürlich auch die paarweise vorhandenen Chromosome vereinheitlichen.  Wir finden dann, je nach Inzuchtgrad in einem Lebewesen nicht nur gleiche (oder ähnliche) Erbanlagen, sondern ganze Pakete (Chromosomenpaare)derselben Herkunft.  Dies ist unter Umständen auch eines der Ziele der Reinzucht resp. der Inzucht, denn es verspricht Reinerbigkeit der jeweiligen Eigenschaften.  Je höher also der Prozentsatz identischer individueller Chromosomenpaare im Erbgut, desto höher der Inzuchtgrad.

Das Gegenteil der Heterosis tritt ein, nämlich für das betreffende Lebewesen einen Schwund an Lebenskraft in jeder Hinsicht.  z.B.  Leistungsschwäche, kurze Lebenserwartung aber auch Krankheitsanfälligkeit.  Derartige Königinnen produzieren weniger, und weniger vitale, Eier, weniger Pheromone.  Die Arbeitsbienen weniger Futtersaft usw. Ursache hierfür ist in der Hauptsache ein stark verminderter resp. gestörter Stoffwechsel der betreffenden Lebewesen, dies von Anfang (Ei) an.

Für die Gesamtheit des Bienenvolkes wirkt sich dies fatal aus, da sich die Negativeffekte summieren.  Hier muß ein anderer Aspekt ebenfalls erwähnt werden, nämlich der Unterschied für das Bienenvolk zwischen Inzucht der Königin und der Arbeiterinnen (verschiedene Generationen) mit dem sich Dr. Bienefeld in jüngster Vergangenheit ausgiebig aus theoretischer Sicht beschäftigte.  Er findet Ausdruck in einer gestörten Harmonie.

Auch die Tatsache, daß ein Lebewesen das mit einer Paarungsbiologie wie die der Honigbiene ausgestattet ist, in seinem Erbgut oftmals eine große Anzahl Kleinmutationen resp.  Letalfaktore mitträgt, welche sich im Normalfall kaum auswirken, im homozygoten Zustand dagegen zur Auswirkung gelangen. (z.B. Sterblichkeitsrate der verdeckelten Brut in Inzuchtvölkern).

Schlussfolgerungen

Gemäß den erwähnten Überlegungen müssen wir uns also bewußt sein, daß wir mit jedem Schritt einer unbedachten Reinzucht dem natürlichen Bestreben des Bienenvolkes nach Vielseitigkeit ein Stück entgegen wirken. Die Auswertungen die wir bei der Auswahl unserer Zuchtmütter durchführen beziehen sich immer auf das Zusammenspiel der Eigenschaften von zwei Generationen:

Ein Bienenvolk offenbart uns in seiner Gesamtheit ein Spiegelbild, das den Wechselwirkungen dieser Gegebenheiten entspringt. Züchten wir nun von einem besonders guten Volk Königinnen nach, so müssen wir uns bewußt sein, daß:

  1. jede Tochterkönigin natürlicherweise nur einen individuellen Vater hat,
  2. dadurch das gesamte, mit der Auswahl des Zuchtvolkes visierte Eigenschaftspotential in dieser individuellen Königin niemals voll wiedergegeben werden kann,
  3. nur über den Weg einer (Vielfach–) Paarung mit entsprechend vielseitigem Drohnenmaterial erneut ein Ausgleich geschaffen werden kann, sowie es die Natur in jedem Fall vorsieht.

Wer sich dieses Schema klar vor Augen führt versteht auf Anhieb wieso sämtliche Zuchtbemühungen sofern sie auf bloße Erhaltung, vor allem aber auf Vereinheitlichung von Zuchtlinien durch Reinzucht ausgerichtet sind, von vorne herein zum Scheitern verurteilt sind.  Beispiele, wo innerhalb kürzester Zeit wertvolle Zuchtstämme durch übertriebene Reinzuchtbestrebungen zugrunde gerichtet wurden, gab es in der Vergangenheit genügend.

Verständlich wird auch wieso die sogenannten Hybridprogramme (z.B. Celler Hybride) mit zuvor ingezüchteter (genetisch verarmter) Linien der gleichen Rasse nicht den Erwartungen entsprechen können (im Gegensatz zu anderen Bereichen der Tier– und Pflanzenzucht).  Die soziale Lebensweise der Honigbiene, auf die ebenfalls ihre Paarungsbiologie ausgerichtet ist gestattet kein Vorgehen dieser Art.  Bruder Adam, der die Inzucht als Achillesferse der Honigbiene umschreibt, ist diese Tatsache seit 1928 bekannt.  Er richtete seine gesamte Zucht– und Betriebsweise danach ein.


Graz, März 1994
Extrakt von Der Buckfastimker,
??(4), 1997, 49-50.
von Paul Jungels,
Berufsimker
1a, Iewescht Gaass
LU-9361 – Brandenbourg,
G.D. von Luxemburg