Bienenzüchtungskunde

 

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von Professor, Doktor
Ludwig Armbruster
Theodor Fisher Verlag 
1919

 

 

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die F3-Generation beim einfachen Mendelfall

Betrachten wir, am besten an der Hand der Abb. 9 oben S. 33: P sind eine rote und eine weiße Wunderblume; F1 sind rosa Wunderblumen; F2 zeigt die Aufspaltung, vorausgesetzt, daß F1 mit sich selbst befruchtet oder „geselbstet“ worden ist:

1/4 Rot,   1/4 Weiß,   2/4 Rosa.

Soweit haben wir diesen Mendelfall schon dreimal betrachtet.

Wenn wir nun eine Urenkel- oder F3-Generation erzielen wollen, dann bleiben wir insofern am besten unserem bisherigen Verfahren treu, als wir wiederum Selbstbefruchtung eintreten lassen.  Rot wird also mit Rot befruchtet, Weiß mit Weiß, Rosa mit Rosa.  Das Ergebnis kann der vorhersagen, welcher das Bisherige verstanden hat.  Eine rein rote Pflanze kann, mit rein roter gekreuzt, nur wieder rein rote Nachkommen ergeben.  Entsprechend Weiß mit Weiß.  Rosa mit Rosa kreuzen heißt das wiederholen, was in F1 geschehen ist, und was uns dort die schöne Aufspaltung gebracht hat: 1/4 Rot, 1/4 Weiß, 2/4 Rosa.  Kurzum, F3 bringt uns gar keine Überraschung, insbesondere dann nicht, wenn wir, sozusagen mit Buchstaben rechnend, die Erbformeln zur Ableitung verwenden (siehe Abb. 9), oder das Chromosomenspiel der Abb. 10 weiterführen.

Auf der Zeile F3 der Abb. 9 sind jeweils vier Nachkommen einer darüberstehenden F2-Pflanze angedeutet.  Von den 4 Gruppen der Zeile sind also jeweils 4 Geschwister, die Nachkommenzahl 4 ist durchweg deshalb gewählt, weil die Rosa–Pflanzen eine viergestaltige Nachkommenschaft haben, die bekannten 1/4 Rot, 1/4 Weiß, 2/4 Rosa.

Wir wollen gleich hier darauf achten, wie das Verhältnis von reinen zu unreinen Pflanzen sich ändert von Generation zu Generation.

Es läßt sich leicht ablesen, daß in F4, überall wieder Selbstbefruchtung vorausgesetzt, die unreinen Lebewesen schon fast am Verschwinden sind, den reinen Lebewesen gegenüber.  Von den 64 Nachkommen sind nur noch 8 (die beiden eingerahmten Rosa–Vierergruppen), also nur noch 1/8 unrein, 7/8 rein.

Bei F4 sind in der Abb. 9 die Geschwister, um Raum zu ersparen, untereinandergesetzt, nicht nebeneinander.  Von den darüberstehenden F3 sind nur noch 4 Bastarde, nämlich Rr–Pflanzen.  Selbstbefruchtung vorausgesetzt, können nur wiederum diese 4 aufspalten in die bekannten 4 Viertel.  Bei allen übrigen F3–Pflanzen kann nur reine, elterngleiche Nachkommenschaft in Frage kommen.

Folglich: Fortgesetzte Inzucht fördert das Auftreten reiner Lebewesen.

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Züchterideen im Lichte der neuen Gesetze

Wenn wir das Allerwichtigste des bisherigen Ergebnisses einigermaßen beschreiben wollten mit den Worten der Züchter, dann müßte man etwa sagen : „wir haben unserem alteinheimischen, hochgezüchteten Schlag neues Blut zugeführt durch Kreuzung mit einem fremdländischen Hochzuchtprodukt (Kreuzung der P–Lebewesen) und etwas Neues erhalten, zunächst etwas nicht gerade Hervorragendes (F1).  Dann gingen wir von der Kreuzungs- zur Linienzucht über, indem wir Inzestzucht (Inzucht) zuließen.  Dann erhielten wir eine überraschende Vielgestaltigkeit.  Und zwar kommen die elterlichen Rassen wiederum zum Durchschlag, ohne daß unsere Bastarde (Halbblüter) ganz verschwänden.  Wenn die Rosa-Farbe nicht gefällt, wer aus Rosa etwas Besseres, etwa Weiß, herauszüchten will, der schlägt am besten den Weg der Inzucht ein.  Wer sodann einen reinen Typ erzüchtet hat und dessen reinrassige Eigenschaften erhalten wissen will, der muß weiterhin Inzucht anwenden, er darf wenigstens kein andersfarbiges Blut mehr zuführen.“

Gewisse Eigenschaften wie das Rosa, falls es erstrebenswert erschiene, lassen sich züchterisch nicht festlegen, immer wieder kommen unliebsame „Rückschläge“ (Atavismen) vor.  Diese können den Züchter um so mehr in Verzweiflung bringen, je geduldiger er im Anfang war, je mehr er nämlich glaubte, durch stetige andauernde Auslese von Rosa-Pflanzen die Rosa-Farbe rein herauszüchten und festlegen zu können.

Wir sehen ganz klar: Rosa ist seiner Natur nach ein Bastard, kann also, seiner Natur nach, nicht rein werden, sondern wird immer aufspalten.  Aber wenn man Rosa nicht „selbstet“, sondern dadurch festigen will, daß man es mit einer reinen Pflanze (Rot oder Weiß) kreuzt ?  Diesen Fall wollen wir rasch und gründlich mit Hilfe der Erbformeln erledigen.

  Rosa   Rot
P–Individuen Rr RR
Deren Keimzellen : R Bild R
    oder : r R

Mögliche Kombinationen :

  R r
R RR Rr
R RR Rr

 

  1/4 1/4 1/4 1/4

F1 :

RR RR Rr Rr
Rot Rot Rosa Rosa

Das Ergebnis lautet also: In F1 findet wiederum eine Aufspaltung statt, und zwar diesmal 2/4 Rot und 2/4 Rosa.  Auf jeden Fall sind wiederum 2/4 = 1/2 Rosa-Pflanzen vorhanden, nicht mehr und nicht weniger als im Falle der Selbstung.  Genau dasselbe gilt für die andere Kreuzung Rosa × Weiß.

Man verachte jedoch, rein züchterisch genommen, die Bastarde nicht, das Erbgut ist durch Bastardierung nicht ein für allemal verunreinigt, im Gegenteil, aus einem Bastard kann man, sofern man ihn nur inzüchtet oder (mit einem ihm erblich gleichen) kreuzt (z.B. F1-Inzucht), sofort wieder „reine“ Lebewesen erhalten.

Daß all diese Dinge aufs Vielseitigste durch das Experiment bestätigt wurden, braucht wohl nicht eigens erwähnt zu werden.

Die Züchtungstheoretiker der alten Schule würden in den eben genannten Fällen mit ihren Bruchrechnungen kommen.

In der Abb. 9 sind 87 Individuen angegeben.  Mit jenen 87 Individuen sind 7569 Kreuzungen möglich.  Darunter sind viele Kreuzungen von Urenkeln denkbar, also schon ziemlich entfernte Verwandtschaftszuchten.  In kurzer Frist hätten wir ein ansehnliches Volk von Individuen erzüchtet.  Aber selbst wenn man innerhalb dieses Volkes 100 Jahre lang weiterzüchten würde, hätte man hinsichtlich der beobachteten Eigenschaft in der hundertsten Generation nicht etwa (1/2)100 Blut (eine verschwindend kleine Zahl, auf welche die Überlegung der Abb. 2 führen würde), sondern höchstens 1/2 Blut, nämlich höchstens Rr–Individuen neben den unendlich vielen RR– und rr–Individuen [Vorausgesetzt, daß keine Mutationen auftreten, hierüber vgl. Unten].  Die Erbanlagen sind eben nicht Flüssigkeitstropfen, die zusammenkommen und sich vollständig mischen, dann sich wieder und wieder mischen, bis zum Schluß die Mischung sich nur noch theoretisch nachrechnen, aber praktisch nicht mehr nachweisen läßt.  Doch hiervon später mehr.

Von den neuen Zuchtgesetzen zählen wir also auf:

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ein warnendes Beispiel für Züchter (Dominanz)

Die grundsätzliche Schwierigkeit dieses Falles ist ganz gering, seine praktische Bedeutung außerordentlich groß.

Bis jetzt konnten wir das Bastardierungsprodukt äußerlich als Bastard, als Mischling erkennen.  Der Mischling von Rot × Weiß war eben Rosa, und jedes Rosa-Lebewesen war für den einigermaßen geübten Züchter ein Mischling.  Bis jetzt konnte man jedem Individuum die Erbformel äußerlich ansehen, die Roten waren von der Formel RR, die Weißen von der Formel rr, die Rosa-Pflanzen von der Formel Rr.  Es ist sehr bequem für den praktischen Züchter, wenn ein Bastard sich nicht hinter dem Kleid der Reinrassigkeit verbergen kann.  Solche Maskierungskünste erlauben sich aber sehr viele Bastarde.  Dann heißt es für den Züchter: aufgepaßt!

Solch ein Fall sei an einem tierischen Beispiel besprochen, am Beispiel der Gartenschnecke, Helix hortensis.  Die entsprechenden Zuchtversuche wurden durchgeführt vom verstorbenen Züricher Zoologen Lang.  Bei der Gartenschnecke gibt es wie bei der Honigbiene helle und dunkle Tiere; bei den dunklen ist in der Schale reichlich dunkler Farbstoff abgelagert, und zwar in der Form von braunen Bändern.  Diese Unterschiede beruhen auf erblichen Anlagen.

Die weißlichen Tiere enthalten eine Anlage für Weiß, die wir mit A (albus) bezeichnen wollen.  Die dunklen Tiere haben dann, ganz vorsichtig ausgedrückt, eine Anlage für Nichtweiß, die am besten zu bezeichnen ist mit a.  Beim Vererbungsfall der Schnecke verbirgt sich nun der Bastard hinter dem Kleid der Reinrassigkeit, und zwar hinter dem Kleid der reinrassig hellen Schnecke.  Wenn ich also eine weiße Schnecke vor mir habe, bin ich zunächst nicht sicher, ob ein rassereines Tier oder ein Mischling vorliegt.

Da sowohl die AA- als die Aa-Tiere weiß sind, kommt die weiße Farbe viel häufiger vor als die dunkle; es leuchtet ohne weiteres ein, daß die braunen Tiere, die leicht zu überblickende Minorität, stets rasserein sind.  Abb. 11 entspricht in der Anordnung vollständig der Abb. 9.

F1 ist hier weiß, wie der eine „Elter“, sämtliche Tiere von F1 sind natürlich auch hier uniform.  Bei Inzucht (bei den Schnecken leicht möglich) entsteht in F2 eine Aufspaltung, dieses Mal natürlich nur in zwei äußerlich erkennbare Farbenklassen (statt drei wie oben) und jetzt im Verhältnis 3/4 Weiß: 1/4 Braun.  Der Erbanlage nach sind aber genau wie oben 1/4 AA, 1/4 aa und 2/4 = 1/2 Aa.

Die Abb. 11 gibt uns auch den Fingerzeig, wie man von einem Tier Aa feststellen kann, daß es trotz der unschuldigen weißen Farbe ein Bastard ist.  Man hat nur Inzucht anzuwenden und die Nachkommen dieses Tieres zu untersuchen.  Wenn die Nachkommenschaft nicht aufspaltet, dann war das weiße Tier rein, wenn sie aber aufspaltet, wenn also etwa 1/4 davon braun ist, dann lag ein Bastard vor.

Kreuzung zweier Gartenschnecken.

Abb. 11.  Kreuzung zweier Gartenschnecken–(Helix hortensis)Varietäten.  Beispiel des Mendelns eines Merkmalspaare bei Dominanz von Hell. [Vergrößerung (17 ko)].

Die Gefahr, die Aufspaltung zu übersehen, ist hier natürlich größer als beim Mirabilis-Fall.  Wenn unter 4 F2-Tieren z.B. kein einziges braunes vorkäme dürfte man noch nicht behaupten es sei keine Spaltung aufgetreten, es liege also ein reines Eltertier vor.  Die Kombination der Keimzellen erfolgt, wie wir uns erinnern, nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung, und wenn überhaupt nur 4 Paare Keimzellen zusammengefügt werden, dann ist es wohl denkbar, daß von vier grundsätzlich möglichen Kombinationen nur deren drei tatsächlich verwirklicht werden.  Umgekehrt, je größer die Zahl der Nachkommen ist (wie meist bei den Pflanzen), desto sicherer kann man erwarten, daß alle Kombinationen, die überhaupt möglich sind, tatsächlich sich vorfinden lassen.  Dann erst kann man mit großer Bestimmtheit sagen, diese und diese Aufspaltung liegt vor oder sie liegt nicht vor.

F4 der Abb. 11 zeigt, daß auch im Schneckenfalle die reinen Tiere bei fortgesetzter Inzucht (nach der einmaligen Kreuzung der P-Tiere) schon in wenigen Generationen an Zahl den unreinen Tieren stark überlegen sind.  Es sind ja in F4 nur noch 8 Aa-Tiere vorhanden, nämlich die beiden eingerahmten Vierergruppen der Abb. 11.

Für den Züchter ist dieser Schneckentypus, wie gesagt, von großer Bedeutung; er lehrt ihn scharf zu unterscheiden zwischen der Erbanlage und dem äußeren Kleid, er warnt den Züchter davor, voreilig an Rassereinheit zu glauben, er schärft dem Züchter den Grundsatz ein: an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen, nämlich an den durch Inzucht erzielten Nachkommen.

Dem Bienenzüchter liegt natürlich die Frage auf der Zunge, welchem Typus folgt die Biene, dem Mirabilis- oder dem Schnecken-Typus ?  Hinsichtlich der Hinterleibsfarbe wahrscheinlich mehr dem Mirabilis-Typus.  Genaueres läßt sich hier noch nicht sagen.

Nur sei gleich hier ausdrücklich betont, daß es Übergänge gibt zwischen beiden, und daß mancher Fall, der dem Schneckentypus zu entsprechen schien, sich bei näherer Prüfung irgendwie als Mirabilis-Typus entpuppte; bei großer Übung gelang es nämlich, Bastardtiere an ihrem äußeren Kleid, obwohl es scheinbar das Kleid der Reinrassigkeit war, trotzdem zu erkennen.

Einen Augenblick angenommen, die Biene würde dem Schneckentypus folgen, dann hätte der Imker, der seinen Stand italienisieren will, bei seinem Stand also nur helle Bienen fliegen sehen möchte, in einem Punkt leichteres, in einem anderen Punkt schwereres Spiel als für den Fall, daß die Biene dem Mirabilis-Typus folgen würde.  Wenn die Biene dem Schneckentypus folgt, dann hat der Bienenvater die Freude, bald überwiegend Italiener fliegen zu sehen.  Doch die Enttäuschung dürfte nicht ausbleiben, die Italienerfarbe vererbt sich nicht durchweg rein, es treten Rückschläge auf.  Indes wollen wir nicht vorgreifen.

Es gibt sehr viele Bastardeigenschaften, die als solche nicht erkennbar sind.  Obwohl sie aussehen wie „reine“ Eigenschaften, erhalten sie sich trotzdem nicht.

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