Bienenzüchtungskunde

 

von Ludwig Armbruster
Theodor Fisher Verlag
1919

 

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ichterbliche Eigenschaften
— „Vererbung des Spielraumes“

Ein Zuchtziel haben wir vor Augen.  Nur die Entscheidung über die Farbe haben wir uns vorbehalten.  Wir müssen noch einmal uns fragen, was läßt sich davon erreichen.  Oben machten wir Mut, denn unglaublich Klingendes sei schon erreicht worden.  Das ist richtig, trotzdem müssen wir in einem Punkte Wasser in den Wein gießen, denn wir dürfen nicht dem Fehler so ziemlich aller bisherigen Bienenzüchtungsschriften verfallen.  Wir dürfen nicht einen grundwichtigen Unterschied übersehen: außer den vererbbaren Eigenschaften gibt es auch nicht vererbbare.  Denn bei der Ausgestaltung der einzelnen Eigenschaften haben nicht nur (innere) Erbanlagen, sondern auch äußere Umstände mitzusprechen.  Mit den erblichen Eigenschaften sind dem Züchter die unglaublichsten Kunststücke möglich, mit den Nichterblichen kann der Züchter so gut wie gar nichts anfangen.  Das erste beim Züchten ist ja: die guten Eigenschaften erhalten, was sich aber nicht vererbt, erhält sich nicht und läßt sich nicht erhalten.  Für gar manche ganz ausgesprochene Eigenschaften sind nämlich die Vorfahren absolut nicht verantwortlich; diese Eigenschaften beruhen, so wie sie sind, nicht auf Erbanlagen, sondern zufälligen äußeren Lebensumständen.  So wie sie gerade sind, wurden sie nicht ererbt und ebensowenig werden sie später vererbt („ontogenetische Elastizitätsgrenzen“ Naegeli 1884).

Ein öfter erwähntes Beispiel mache das klar:

Unter den verschiedenartig blühenden chinesischen Schlüsselblumen (Primula sinensis) gibt es eine bestimmte Sorte, die rot blüht.  Wenn man aber eine heranwachsende Pflanze in das Warmhaus bringt und bei etwa +30°C beschattet der Blütezeit entgegen wachsen läßt, dann wird sie weiß blühen, trotz der Abstammung von „reinrassig roten“ Eltern.  Der Züchter, der meint, er habe jetzt eine weiße Handelsrasse, der täuscht sich, denn die Nachkommen dieses weißen Primelstöckchens werden eben wieder rot blühen, weiß höchstens dann, wenn er die Nachkommen wiederum vorübergehend in das Warmhaus stellt.  So schön und ausgesprochen die weiße Blütenfarbe war, sie ist nicht erblich, sie erhält sich nicht.

Wir sehen hieraus, daß die nichterblichen Eigenschaften dem Züchter nicht nur nichts nützen, sondern im Gegenteil ihn irreführen, schädigen können.  Hierfür noch folgendes Beispiel:

Wenn der Imker eine ausgesprochen schöne stattliche Königin gezüchtet hat, welche die durchschnittliche Größe der Königinnen um ein Viertel überragt, dann ist er geneigt, dies Tier als Zuchtmutter zu benutzen.  Wenn er glaubt, die Nachkommen dieser Königin seien alle wiederum größer als gewöhnliche Königinnen, wenn nicht um ein Viertel, so doch um ein Achtel größer als der Durchschnitt, dann wird er sich eben in den allermeisten Fällen täuschen (nicht notwendig in allen Fällen!).

Eine rote Primel kann rote oder weiße Nachkommen haben, je nachdem man die Nachkommen hält, normal oder im Glashaus.  Eine schmächtige Königin kann schmächtige, aber auch prächtige Prinzessinnen liefern, je nachdem die heranwachsenden Prinzessinnen gehalten werden; ebenso auch umgekehrt.

Rote Blütenfarbe, Riesenwuchs waren hier nicht direkt durch Erbanlagen, sondern durch die zufälligen Lebensumstände hervorgerufen.  Wenn man auch mit Fug und Recht sagen kann, sie sind nichterbliche Eigenschaften, so kann man doch nicht jede Beziehung zur Erbanlage der Lebewesen leugnen.  Es bleibt ja immer noch zu erklären, warum gerade z.B. weiße Farbe auftritt!  Man trifft wohl das Richtige, wenn man sich folgendermaßen ausdrückt:

Nicht eine bestimmte Größe, etwa von 23 mm, wird vererbt, sondern der Spielraum; z.B. bei der indischen Riesenbiene (Apis dorsata) wird der Spielraum von 22–24 mm vererbt, oder in einen anderen Fall, etwa bei Apis florea, der indischen Zwergbiene, der Spielraum 12–14 mm, in ähnlicher Weise bei der chinesische Primel der Spielraum zwischen rot und weiß (über rosa).

Weil dieser Gesichtspunkt so wichtig ist, mögen noch einige Beispiele angeführt werden.  Angenommen, ein Bienenstamm auf meinem Stände zeichnet sich schon mehrere Generationen hindurch dadurch aus, daß er sozusagen gar nicht sticht.  Ein Schwarm von diesem Stamm kommt aber in eine ungeschickte Hinterladerbeute, die Tür schließt schlecht, das Fenster ist meist verquollen, die Rähmchen sitzen nicht auf Metallstreifen; so oft man den Schwarm behandelt, gibt es ein Zerren und Reißen, nach und nach aber immer mehr Stiche.  Das neue Volk ist aber sonst so ausgezeichnet, daß man gerne von ihm nachzüchten möchte.  In diesem Falle darf man das wohl unbedenklich, die Vererbung der Stechlust braucht man in diesem Falle nicht zu fürchten.  Sie ist nicht erbliche Anlage, sondern infolge besonderer Behandlung hervorgerufen, ähnlich wie die weiße Farbe der Primel bei Warmbehandlung.

Bei der Biene können sehr viele Eigenschaften sowohl erblich als nichterblich sein.  Bei vielen Eigenschaften ist also hier sehr schwer zu sagen, ob das erzüchtete Volk eine gewünschte Eigenschaft des Muttervolkes vererben wird.

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ie Lebenslage

Wenn man eine Löwenzahnpflanze (Taraxacum) aus der Ebene ins Hochgebirge pflanzt, dann nimmt sie ganz und gar andere Gestalt an (s.  Abb.  1), „so daß man sie kaum Wiedererkennt“ (Naegeli 1884 zu den entsprechenden erstmaligen Versuchen mit Hieracium).  Wenn man den Samen dieses verkrüppelten Exemplars aus dem Gebirge nach Hause nimmt, dann darf man beruhigt sein, man bekommt keine Krüppel, sondern wieder eine ganz ansehnliche Pflanze.  Der Krüppelwuchs „liegt nicht im Blut“, er vererbt sich nicht.  Man kann ja sogar die Mutterpflanze selbst im Gebirge ausgraben und wieder in die Ebene zurück versetzen und sie wird in ihren alten Tagen noch einmal ein stattliches Exemplar, ähnlich wie sie es früher war.  Ebenso wird der „Stechteufel“ wieder ein anständiges Volk werden, wenn man ihm eine anständige Beute und anständige Behandlung zuteil werden läßt.  Es wird ja auch der „bravste Hüngler“, wie die Schweizer einen schwarmträgen Honigsammler nennen, zum Schwarmgeist, wenn man ihn in einen gar zu engen Korb einmietet.

Natürlich ist auch der umgekehrte Fall denkbar.  Wenn der Imker im zeitigen Frühjahr bei kühlem Wetter die Völker nachsieht und einem Anfänger ein möglichst zahmes Volk verkaufen möchte, dann kann er sich leicht täuschen: nach zwei Jahren können sehr wohl alle vier Nachkommenvölker der gekauften „zahmen“ Stockmutter die übelsten Stecher sein, deswegen, weil das heiße Blut des gekauften Volkes im Frühjahre bei dem kühlen Wetter sich zufällig nicht austobte.  Oder wiederum: ein empfindsames, südländisches Blut kommt in kalter nordischer Gegend ganz gut durch den Winter, aber nicht deswegen, weil es ein zwar südländischer, aber trotzdem erblich winterharter Stamm ist, sondern weil die Einund Auswinterung vorzüglich und die Temperatur nicht gar zu schwankend war.

Die Lebenslage, wie man all das fachmännisch nennt, hat die Auswirkung der erblichen Anlage so beeinflußt, daß die erblich im Blut steckenden Eigenschaften gar nicht zum Vorschein kommen, aber offenbar in keinem der erwähnten Fälle sind die innersten Erbanlagen selbst dauernd beeinflußt worden.  Ein Vergleich:

Bei +100°C verdampft das Wasser und wird gasförmig; wenn man aber das Wasser in den Dampftopf einsperrt, bleibt das Wasser auch noch bei +105°C flüssig (der Dampftopf müßte sonst explodieren!).  Man kann ein und dieselbe Menge Wasser öfter so „mißhandeln“, es verliert doch seine innere Eigenschaft nicht, sich normalerweise bei +100°C in Wasserdampf zu verwandeln, diese Eigenschaft ist eben zu tief in seinem Wesen begründet.  Es wäre für den Heizer.  schlimm, wenn das Wasser in seiner Lokomotive mit der Zeit die Eigenschaft sozusagen vererben würde, bei +105°C, noch nicht zu sieden; oder wenn das im Thermometer eingeschlossene Quecksilber, nachdem es in der Hitze schon tausendfach sich ausgedehnt hat, sich nicht immer wieder zusammenziehen würde.

Kurz, die gerade unter bestimmten Umständen sich zeigenden Eigenschaften eines Bienenvolkes brauchen nicht zum Wesen des Volkes zu gehören, sie müssen nicht notwendig erblich sein.

So einleuchtend dies dem praktischen Imker jetzt erscheinen mag, so schwierig ist es nun im einzelnen Falle, zu unterscheiden: gehört diese oder jene Eigenschaft eines Volkes, die mir gerade auffällt, zum Wesen, zum „Erbgut“ des betreffenden Bienenvolkes oder ist sie nur die Folge der besonderen Lebenslage; ist sie der Rasse oder dem Zufall, d.  h.  der zufälligen Lebenslage zuzuschreiben; ist sie erblich oder nicht?

Leider finden wir, wenn wir die Liste unserer Zuchtziele mustern, gar zu viele Eigenschaften, die ebenso leicht erblich als nichterblich sein können.  Vom Schwärmen war schon die Rede, ebenso vom Temperament, auch von der Winterfestigkeit und Größe (Zungenlänge!).

Daraus folgt, daß wir bei Beurteilung unserer Züchtungserfolge sehr vorsichtig zu Werke gehen müssen, um uns nicht Erfolge vorzutäuschen, die nicht vorhanden sind.  Also dürfen wir z.B. nicht glauben, wir hätten eine schwarmträge Rasse schon erzüchtet, wenn wir uns statt dessen nur mit der Zeit angewöhnt haben, mit den Bienen sehr schonend umzugehen!

Dies legt uns darum die Forderung nahe, daß alle, nicht nur die Forscher, auch die Imker, unter diesem Gesichtspunkte durch reichliche Beobachtung feststellen, ob es vielleicht Eigenschaften gibt, die durch die äußere Lebenslage gar nicht beeinflußt werden, so daß, wenn in dieser Hinsicht Besonderheiten auftreten, sie ohne weiteres auf verschiedene erbliche Anlagen zurückgeführt werden können.

Eine solche Eigenschaft kann namhaft gemacht werden; es ist die Farbe, und zwar genauer die Panzerfarbe.  Wenn im gleichen Volk Bienen mit gelben und solche mit schwarzen Farben auftreten, dann sind sie ohne Zweifel sozusagen immer erblich verschieden veranlagt (Gegen Dächsel 1919).  Denn der Fall der chinesischen Primel ist hier nicht heranzuziehen, denn alle Bienen eines Stockes entstehen sozusagen alle bei gleicher Temperatur, bei gleichem Feuchtigkeitsgehalt, und wären sie sehr verschieden gut ernährt, dann würde man es auch an der Größe sehen.  Es könnte sich höchstens um ganz geringfügige Temperaturunterschiede handeln; denn würde die Temperatur zu hoch steigen oder zu tief fallen, so würde es Tote geben.  Der Leser ahnt schon, warum die Farbe eine so große Rolle spielt bei der wissenschaftlichen und praktischen Bienenzüchtung.

Eine weitere, ohne Zweifel erbliche Eigenschaft hat Zander gefunden.  Verschiedene Bienenrassen verhalten sich erblich verschieden in den Art, wie sie den Honig entweder gewinnen oder, was wahrscheinlicher ist, verarbeiten (oder beides).  Der Honig der Kaukasiervölker, soweit sie Zander beobachtete, ist verschieden von dem unserer Bienen, auch wenn sie nebeneinander dieselbe Tracht ausnützen.  Der Honig eines Bastardes zwischen den beiden Rassen hält in der Mitte zwischen den Honigen der Ausgangsrassen.

Bei der Biene ist Farbe eine erbliche Eigenschaft, und zwar die am leichtesten zu studierende. — Gewisse wirtschaftlich bedeutungsvolle Besonderheiten des Sammeltriebes sind erblich.

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