Bienenzüchtungskunde

 

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von Professor, Doktor
Ludwig Armbruster
Theodor Fisher Verlag 
1919

 

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Belichtetes blaues D Zeichen

der merkwürdige Stammbaum einer Honigbiene.

Wir haben uns im letzten Kapitel schon stark der Theorie genähert.  Bevor wir aber ganz den Boden der Vererbungstheorie betreten, wollen wir den Stammbaum einer Honigbiene betrachten; er ist in der Tat merkwürdig.

Wenn wir hier von einem merkwürdigen Stammbaum der Biene reden, dann setzen wir als bekannt voraus, daß die Drohne aus einem Ei hervorgeht, aus dem ohne weiteres auch ein weibliches Wesen hätte hervorgehen können, wenn es nur befruchtet worden wäre.  Daß es solche Eier gibt, die sich ebensogut entwickeln mit als ohne Befruchtung, machte dem Laienverständnis viel Schwierigkeiten.  Auch Fachgelehrte stießen sich lange daran.  Der Widerstand mancher Imker ist darum begreiflich.  Er hatte schließlich das eine Gute: je hartnäckiger er war, desto mehr half er mit, diese merkwürdige Entdeckung von verschiedenen Seiten zu prüfen und zu festigen.

Auch die Vererbungserscheinungen bei der Biene haben diese Entdeckung schön bestätigt, und jeder Königinnenzüchter, der auch bunte Königinnen zieht, kann sich leicht von ihrer Richtigkeit überzeugen.  Tatsachen, die eine wichtige Rolle gespielt haben, sind dem Imker sogar eine fast alltägliche Erscheinung.  Wir werden sehen.

Von den Haustieren hat jedes Tier 2 Eltern, 4 Großeltern, 8 Urgroßeltern, 16 Ururgroßeltern.  Bei der Biene hat das Männchen, die Drohne, keinen Vater, also nur „einen Elter“, wie man bei den Vererbungstheoretikern sagt, nur 2 Großeltern, nur 3 Urgroßeltern, nur 5 Ururgroßeltern.  Das Weibchen (Arbeiterin, Königin) hat zwar 2 Eltern, aber nur 3 Großeltern, nur 5 Urgroßeltern und nur 8 Ururgroßeltern, nur halb soviel als das gewöhnliche Haustier (die Drohne hat nicht einmal den dritten Teil der Ururgroßeltern).

Der Stammbaum der Männchen und der Weibchen ist demnach bei der Biene stark verschieden, und sowohl der eine als der andere unterscheidet sich stark von den Stammbäumen, von denen überhaupt die Rede zu sein pflegt.

Die deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde hat die allgemeine Einführung von Ahnentafeln in nachstehender Form vorgeschlagen.  Es handelt sich um den Stammbaum des Hengstes Pantaleon.  Von links nach rechts folgen auf Pantaleon seine beiden Eltern (Vater oben!), dann seine 4 Großeltern, seine 8 Urgroßeltern usw.  Die paarweise Anordnung der Tiere, die gekreuzt wurden, ist leicht ersichtlich.  Das Männchen steht hier immer oben, das Weibchen immer unten.  Da man im Gegensatz zur eigenartigen Fortpflanzung bei der Biene ein Tier öfters mit ganz verschiedenen Tieren zu kreuzen vermag, kann ein Tier öfters im Stammbaum vorkommen.  Die weiblichen Tiere spielen hier im Gegensatz zur Biene die geringere Rolle, bleiben auch vielfach ohne Namen.  Es ist leicht einzugehen, daß es sich um Verwandtschaftszucht (Inzucht) handelt.  Um die Tiere, die im selben Stammbaum öfters vorkommen, (Eclipse zwei-, Highflyer dreimal) für das Auge des Beschauers deutlicher hervortreten zu lassen, werden sie mit besonderen Zeichen versehen, z.B. Eclipse mit Schwarze Quadrat.

Tabelle 1.
Ahnentafel (Pedigree) des Hengstes Pantaleon
Ahnentafel (Pedigree) des Hengstes Pantaleon aus Wilsdorf 1912.

Die älteren Züchter, und auch heute noch die Laienzüchter, stellten sich, entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch („blutsverwandt“) vor, das Blut sei der Träger der vererbbaren Eigenschaften.  Der Hengst Pantaleon habe also das halbe Blut vom Vater Castrel, das halbe Blut von der Mutter Idalia, oder entsprechend Musidora von jedem Großelter, den vierten Teil, z.B. 1/4 von Eclipse, 1/4 von Highflyer usw.  Die namenlose Tochter von Alexander hat von ihren beiden Großvätern Eclipse und Highflyer 2/4 ihres Blutes in gleicher Weise wie Musidora.  Demnach würde diese letztere mit der namenlosen Tochter Alexanders in 2/4 ihres Blutes übereinstimmen.  Die beiden Eltern unseres Pantaleon würden ganz entsprechend zum Teil gleiches Blut haben.  Idalia leitet 2/8 ihres Blutes von Highflyer, 1/8 von Eclipse, also 3/8 vom Hengstpaar Highflyer–Eclipse.  Castrel hat 1/8 + 1/8, also 2/8 seines Blutes vom selben Hengstpaar Highflyer–Eclipse.  Das ist die Bedeutung der beigedruckten eingerahmten Brüche.  Der Zähler besagt, wie oft im günstigsten Fall gemeinsame Tiere im beiderseitigen Stammbaum vorhanden sind, und der Nenner (Falls der Bruch nicht „gekürzt“ ist.) im allgemeinen, wie viele Generationen diese Tiere zurückliegen.  Nur soweit sind diese Zahlenkünste brauchbar.  Ganz bedenklich ist aber die Vorstellung, auf der sie offenbar ursprünglich beruht (gewiß mag sie heute stellenweise verlassen sein!) und die sie gar zu leicht hervorrufen kann.  Wenn auch der Einsichtigere vielleicht nicht glaubt, das Blut sei der Sitz der Erbanlagen, so glaubt er doch leicht: die Dosis dessen, was vom Vater herrührt, und die Dosis dessen, was von der Mutter vererbt wird, seien mischbar, wie man zwei Löffel Flüssigkeitsmengen mischen könne.  Und weiter ist er geneigt anzunehmen: von den Erbanlagen, die z.B. der Vaterhengst austeilt, sei die eine Dosis genau wie die andere, etwa so wie die einzelnen Portionen aus einem gut geschüttelten Medizinglas.  Darin werden wir wilde Ketzereien erkennen.

Der Stammbaum der Biene weicht von dem der übrigen Nutztiere stark ab, weil die Drohnen weder Vater noch Söhne haben (nur Großväter und Enkel), und weil die Königinnen nur einen Gatten haben, und umgekehrt.

Belichtetes Zeile

 

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Belichtetes blaues D Zeichen

ie Ahnentafel der Biene.

Diese Rechenkünste hatten einen vielversprechenden Anfang genommen in den geistreichen Ansichten eines Arztes Francis Galton (geb. 1822), die ganz kurz erwähnt seien, weil sie auf den Laien ziemlichen Eindruck machen und bis heute unter den Züchtern, auch unter den Bienenzüchtern (z.B. Heyl 1918), noch weiterspuken.  Vor allem werden dann die neuen Vererbungsgesetze, neben diese alten Vererbungsansichten gestellt, in ihrer Eigenart sieh viel deutlicher abheben.

Abbildung 2.
Veraltete Vorstellung von den Erbeinflüssen der Vorfahren.
Abb. 2.  Veraltete Vorstellung von den Erbeinflüssen der Vorfahren.
(2 und 3 = Eltern, 4–7 = Großeltern, usw.) Nach Galton aus Goldschmidt.

Nachstehend beigefügtes Quadrat stellt die Gesamtheit der Erbanlagen eines Menschen dar.  Man hat sich vorgestellt, 2 und 3 seien die Anteile, die Vater und Mutter beigesteuert haben (das ist die Hälfte der gesamten Erbanlagen), 4–7 seien die Beiträge von den 4 Großeltern, 8–15 die von den 8 Urgroßeltern, usf.  Demnach wären z.B. alle Urgroßeltern mit genau gleich starken Anteilen vertreten.  Die Erbanlage eines Menschen wäre demnach zusammengewürfelt aus den unter sich verschiedenen Erbanlagen bzw.  Teilerbanlagen sämtlicher Ahnen (wenn auch die entfernteren Ahnen entsprechend weniger „mitzureden" hätten).

Wiederum liegt hier die falsche Vorstellung zugrunde, die Erbanlagen seien zu vergleichen mit einer mischbaren Flüssigkeit, von der bei ein und demselben Individuum jede Dosis gleich der anderen ist.  Von dieser Dosis wird etwas den Enkeln und Urenkeln weitergegeben, natürlich jetzt in mehr und mehr abgeschwächter Konzentration (oben Teil–Erbanlage genannt).

Abbildung 3.
Ahnentafel einer weiblichen Biene.
Abb. 3.  Ahnentafel einer weiblichen Biene.
KöniginzeichenKöniginzeichen, Männliche Zeichenmännliche Zeichen.

Alle die vielen Ahnen eines Menschen sind gewiß nicht alle gleich trefflich oder gleich schlecht gewesen, im großen und ganzen wird ihr Durchschnitt von „mittelmäßiger“ Güte gewesen sein; mit diesem „Ahnenmittel“ ist jeder erblich „belastet“.  Diese Belastung erschwert es, daß der Mensch nach der guten oder schlechten Seite sich in ganz besonderem Maße hervortue.

Dieses Galtonsche Quadrat und die von ihr beeinflußte Ahnentafel der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde läßt sich, abgesehen von der falschen Grundvorstellung, nie und nimmer auf die Biene anwenden.  Sinngemäß umgeändert würde sie sich wie folgt ausnehmen.

Diese Ahnentafel ist stark unsymmetrisch.  Die Drohne hat eine viel schwächere Sippschaft hinter sich.  Heyl 1918 meinte darum, sie spiele in der Vererbung eine geringere Rolle.  Er stellt sich offenbar vor: die geringere Vorfahrenzahl kann sozusagen den Vorratsbehälter an Erbgut in der Drohne nicht ganz so reich füllen, wie es die zahlreicheren Vorfahren bei der Königin vermögen.  Wie ganz anders verhält sich die Sache, wie viel einfacher; doch warten wie erst die Erörterung der Mendelschen Grundlagen der Vererbung ab (S. 84f.).

Stammbaumaufzeichnungen bei der Biene dürfen die üblichen Ahnentafeln (Pedigrees) nicht zugrunde gelegt werden.

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